Das war mein ursprünglicher 8-seitiger Beitrag für das Seminar in der BA Wolfenbüttel 2014.

Jetzt erweitert und rund geschliffen


Der gleißende Turm

 

Die Sonne stand hoch am Firmament. Brennend heiß stach sie vom Himmel herab. Die kleine Truppe von Abenteurern, die unter ihr die Wüste durchquerten, zollten ihr jedoch keinen Respekt. Ihnen stand nicht einmal Schweiß auf der Stirn.

Es war schon eine merkwürdige Gruppe, die dort auf ihren Pferden durch die Wüste Xergan, im tiefen Süden von Largo, unserem Land, ritten.

Ein Zwerg in voller Kriegsrüstung, ein Halbling, der sich kaum auf dem für ihn riesigen Pferd halten konnte, eine Schwertkämpferin, deren weibliche Züge nur noch erahnt werden konnten, sowie ein Magier, der schon bessere Tage gesehen hatte wurden von einem Schwarzen mit nur einem Arm begleitet. Die Spitze des Trupps wurde von einem hünenhaften, muskelbepackten Barbaren beherrscht, der jetzt seinen Arm erhob und somit den Trupp zum Stehen brachte.
Sein Blick streifte den Horizont und die ersten Sorgenfalten bildeten sich auf seinem Gesicht.

"Ich weiß, was du denkst. Liron ist bis jetzt immer wiedergekommen" flüsterte die Frau, die sich leise zu ihm gesellt hatte, dem Barbaren zu.

Ihre Augen trafen sich und Morgana sah eine für einen Barbaren eigentlich undenkbare Gefühlsregung: Angst.
Der Krieger senkte die Schultern.
"Ich kenne Liron so gut wie du. Aber ich mache mir jetzt doch ernsthafte Sorgen. Er ist noch nie so spät von einem Erkundungsritt wiedergekommen."
Der Blick Chrons suchte wieder vergeblich den Horizont nach der schlanken Silhouette des Elfen ab.

Eigentlich war der Scout und Waldläufer mit seinen zwei Meter zwanzig nicht zu übersehen. Aber hier in der gefährlichsten aller Wüsten nützt die Größe und Gewandtheit wenig. Schon viele haben in Xergan ihr Leben gelassen.

Zu seinen Kameraden gewandt rief der Barbar: "Last uns dort unter der Düne im Schatten eine Rast einlegen und auf Liron warten. Er müsste eigentlich jeden Augenblick wiederkommen..."
Und an Morgana gerichtet vollendete er den Satz mit dem Wort: "... hoffentlich."


*


Liron war schon eine ganze Weile von seinen Freunden weg. Aber es hat sich eigentlich noch immer ausgezahlt vorsichtig zu sein. Keiner konnte sagen, ob hinter der nächsten Düne nicht ein Sandteufel, eine Gruppe Heron, die Nomaden und eigentlichen Beherrscher der Wüste, oder gar ein Basilisk auftauchen konnte. Also noch eine Düne weiter ...

Auf einmal sah der Elf ein pulsierendes, grünes Licht, das den ganzen Horizont einnahm. Neugierig ließ er sein Pferd antraben.

Das Licht wurde stärker und Liron hatte den Eindruck, dass es gegen das Licht der Sonne ankämpfe - und je näher er kam, auch besiegte. Bald darauf war der Waldläufer in ein Meer von grünlichem Licht getaucht.

Vor Liron ragte ein kleines, aus Ebenholz und Stein erbautes Gebäude aus dem Sand. Die Eingänge schienen, nachdem der Scout das Gebäude umrundet hatte, nur aus zwei ovalen Fenstern zu bestehen.

"Demnach muss es ein Gebäude sein, das von der Wüste im Laufe der Jahre wieder zurück erobert wurde. Mit Sand überdeckt."

Verrostete Rüstungen, Waffen und andere Gebrauchsgegenstände bildeten, zum Teil halb im Sand gebettet, einen Ring um das Bauwerk.

"Bevor ich die anderen hole, werde ich noch nachschauen, ob das der geeignete Ort ist, um die Nacht zu  verbringen" flüsterte der Elf seinem Pferd zu, das jedes Wort von ihm verstand und nickte.
Waldmensch und Pferd hatten sich durch zahlreiche Abenteuer zu einer Einheit entwickelt. Das ist zwar eigentlich wider die Natur - aber Freundschaft geht manchmal seltsame Wege.

Liron betrat das Gebäude und sackte sofort einige Zentimeter in den Sand, der den Boden bedeckte.

Er wollte noch durch das Fenster zurückspringen, wurde jedoch durch eiserne Klauen an den Beinen festgehalten.
Der Sand um ihn herum begann wie das Meer zu wogen und zu brodeln. Mühsam befreiten sich zahllose Skelette aus der Umklammerung des Sandes und kamen auf den Elfen zu.
Liron merkte nicht einmal mehr wie sein Kopf gegen die Fensterumrandung schlug und fiel bewusstlos zu Boden.

*

Die Dämmerung setzte ein und unsere Helden bereiteten alles für die Nacht vor.

Barnabas, der Schwarze, den Chron vor einiger Zeit aus der Sklaverei befreit hatte und seit dem nicht mehr von der Seite des Barbaren gewichen war, hielt die erste Wache. Chron erinnerte sich immer noch gerne - mit einem Lächeln - an die anstrengende Zeit, in der er Barnabas erklären musste, dass er nicht sein neuer Herr sei sondern sein Freund.

Der Farbige konnte oder wollte das nicht verstehen. So musste der Barbar aus dem hohen Norden, der eigentlich ungern zur Waffe griff oder Befehle erteilte, wohl oder übel in die Rolle eines Sklavenhalters schlüpfen. Aber im Laufe der Zeit wurde aus diesem Verhältnis eine Freundschaft, die durch nichts zu erschüttern war.

Chron saß am Lagerfeuer und sein Blick war glasig und starr in die Flammen gerichtet. Seine Gesichtszüge hatten sich verhärtet und zeigten eine raue Schale über einem weichen Kern. Die Freunde kannten diesen Ausdruck nur zu gut und wussten, dass der Barbar nicht gestört werden wollte. Viele Menschen halten sich Abseits um allein zu sein. Nicht so der Krieger. Er blieb in dem Kreis seiner Freunde sitzen und vermittelte so den Eindruck, bei ihnen zu sein und sie nicht auszustoßen.

"Chron, du musst etwas essen. Liron wird schon wieder auftauchen. Aber wenn ihm etwas zugestoßen sein sollte, musst du für den Kampf gerüstet und gestärkt sein" sprach der Zwerg auf ihn ein.

Arnon, einst ein gefeierter Goldschmied und Kämpfer, nun nur noch in den Augen seines Volkes ein alter Mann, kam zu der Gruppe als er Chron in einer Taverne unter den Tisch trank. Das hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keiner geschafft, und nach dem darauffolgenden Handgemenge nahm Chron nur zu gerne den Zwerg auf. Denn Arnon beherrschte den Umgang mit seiner Axt immer noch - und dass mit einem Geschick, das Chron allen Respekt abverlangte und dem Alter des Zwerges Lügen strafte.

Die Zwerge hatten kein Recht Arnon so zu verletzen. Er hatte nichts von seinen Fertigkeiten verlernt! Die schönen Goldringe und Ketten um Morgana waren seine Handschrift. Doch mit 250 Jahren war der Weg von Arnon zum Tod nun einmal näher als zu seiner Geburt.

Chron nahm das Essen an, das der Zwerg ihm hinhielt, denn er wusste, dass die Worte seines Gefährten ihre Richtigkeit hatten. Nur mühsam rang er sich ein paar Bissen ab; den anderen ging es aber nicht anders. Jeder machte sich Sorgen um den Elfen.

Nach dem Essen legten sich die Freunde zum Schlafen nieder und Barnabas setzte sich an den Rand des Lagers auf einen Felsen. Seine Augen waren feucht. Er hatte schon vieles mit dem Elfen erlebt. Auch wenn sie sich öfters stritten, mochten sie sich im Grunde ihres Herzens. Jeder in dieser Gruppe hatte diese Gedanken. Denn in ihr hatten sich Wesen zu einer Familie zusammengefunden, die sonst keine hätten. Traurige, einsame Individuen.

Barnabas ließ seinen Blick schweifen. Nun war dem satten Rot der untergehenden Sonne, die rabenschwarze Nacht gefolgt. Ein Ruf einer Schlangenschwinge, einer fliegenden Schlange, hallte durch die Finsternis und riss den ehemaligen Sklaven aus seinen Gedanken. Im gleichen Augenblick schoss das Tier auch schon aus dem Himmel herab und hielt direkt auf den Farbigen zu. Barnabas zog das Schwert und rief den Alarm aus. Das war jedoch nicht notwendig, denn die anderen hatten ebensolche scharfen Sinne wie er.

Die Schlange hatte nun Barnabas erreicht und vollendete den Angriff. Das Schwert traf mit voller Wucht die Seite des Tieres, das taumelte und zu Boden viel. Sofort stürzte sich Arnon auf die Schlangenschwinge, hatte jedoch nicht mit deren Schnelligkeit gerechnet und erhielt einen Biss in die linke Schulter.

Der Zwerg rollte sich zur Seite, ließ seine Streitaxt fallen und hielt sich die blutende Schulter. Dabei trat er einen Schritt nach links um den anderen den Weg frei zu machen. Chron stürzte über Dangobar, den Halbling, der auch seinen Beitrag zu dem Kampf leisten wollte, und auf das Tier zuging. Leider hatte er nicht damit gerechnet, dass man ihn in dem allgemeinen Kampfgetümmel leicht übersehen konnte. So traf Chrons Schwert nicht die Schlangenschwinge sondern nur den Sand.
Morgana hatte mehr Glück. Gerade als die Schlange sich auf Chron stürzen wollte, drehte sie der Schwertkämpferin den Rücken zu und diese nutzte den Vorteil erbarmungslos aus. Der wuchtige Hieb trennte den Kopf des Tieres vom Rumpf. Der Körper sackte zusammen, und nur noch die Nerven begannen ihr seltsames zuckendes Spiel. Morgana ließ sich wenig Zeit und drehte sich sofort zu dem Zwerg um, dem ihre Sorge galt. Denn wenn ein Biss einer Schlangenschwinge nicht innerhalb von einer Minute behandelt wird, ereilt das Opfer unweigerlich der Tod.

Mit Freude bemerkte sie, dass sich Garibel, der Magier, schon das dem Zwerg angenommen hatte und einen Heilspruch murmelte. Für sie war es immer wieder ein Erlebnis, wenn blaue Flammen und Blitze aus den Händen des Magiers hervortraten und ihr gutes oder tödliches Werk vollendeten. Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass von den Wunden nichts mehr zu sehen war.

Im Hintergrund hörte sie, wie der Barbar den Halbling anbrüllte. So gut wie Dangobar als Dieb im Schlösser knacken war, so schlecht war er im Kampf. Der kleine Kerl versuchte immer seinen Freunden zu helfen, erreichte aber meistens das Gegenteil. Ein Lächeln umspielte die Lippen der Kämpferin. Keiner konnte Dangobar länger als fünf Minuten böse sein. So war seine Natur.

"Das nächste Mal passt du bitte besser auf, Arnon. Du weißt, dass so eine Heilung viel Kraft erfordert..." sagte der Magier gerade, als Morgana sich zu ihm und dem Zwerg gesellte.
Der Zwerg vollendete schlagfertig den Satz:" ... , die sich bei einem solchen alten Mann natürlich nicht mehr so schnell erneuert. Nicht wahr?"
Dabei kniff er ein Auge zu und alle drei begannen herzhaft zu lachen.

Für einen Augenblick war die Anspannung von ihnen gewichen.
Hier möchte ich noch einmal von der Gesichte abschweifen, um Euch einige Neuigkeiten zu berichten.

Es gibt nur sehr wenige kleinwüchsige Menschen wie unseren Freund Dangobar in Largo. Wir nennen sie hier Halblinge. Dieser Begriff stammt übrigens von den Barbaren, denen diese Menschen nämlich nur bis zu dem Bauchnabel gehen, also ungefähr die Hälfte der Körperlänge der Barbaren besitzen. Daher ist der Name treffend gewählt, oder?

Wie mir erst vor Kurzem berichtet wurde, ist es einem Mitglied der Akademie des Wissens zu Burgasen, der Kaiserstadt, gelungen, die Herkunft dieser Mitbewohner unseres Landes etwas zu lüften.

Die Halblinge sind das Resultat eines genetischen Experimentes! Durch Magie, so der Forscher, wurden die Strukturen im Aufbau des Körpers verändert. Es sei hier die Bemerkung angebracht, dass die ehrwürdige Akademie des Wissens zu Burgasen nichts mit diesem Experiment zu tun hat. Vielmehr will man in der Akademie, die ja in unserem Land vor allem durch die Heilkunde bekannt ist, versuchen, diesen Menschen zu helfen.

Wohl hat auch unser ehrwürdiger Kaiser sie beauftragt den Halblingen auf den Grund zu gehen, denn die Wesen eignen sich hervorragend als Mitglieder der Diebesgilden unseres Landes - wenn ihr versteht, was ich meine.

*

Die Gefährten machten sich schon früh am Morgen auf den Weg, um ihren Freund zu suchen. Liron war auch in der Nacht nicht aufgetaucht, und so galt es als sicher, dass ihm irgendetwas zugestoßen sein musste.

Sie wussten, in welche Richtung ihr Scout am Vortag gegangen ist, und so geschah es, dass die Sonne den Trupp nun gen Süden gehen sah.

Plötzlich rief Dangobar aus: "Da! Dort drüben ist das Pferd von Liron."
Der kleine Kerl hüpfte bei diesem Aufruf aufgeregt auf dem Pferd herum, so dass Morgana Angst bekam, er würde hinunter fallen.

Doch der Halbling war flink. Er hielt sich sehr gut im Sattel. Barnabas nahm sich dem Pferd an und führte es am Zügel als die Gruppe sich wieder auf den Weg machte. Nach einiger Zeit wurde der Horizont vor Ihnen immer grünlicher. Sie waren an dem Ort des Verschwindens angelangt. Chron, der sehr vorsichtig geworden war, ließ erst einmal die Gruppe ausschwärmen und die Gegend erkunden. Doch außer verrotteten Rüstungen und anderen Gegenständen fanden sie nichts.

Merkwürdig, dachte der Barbar, irgendwo muss Liron ein Zeichen gemacht haben. Er würde immer versuchen, uns den Weg mitzuteilen. Es sei denn, er wurde überrumpelt.

"Geht behutsam vor. Das Licht ist nicht von dieser Welt. Ich spüre eine magische Aura, die diesen Ort umgibt" raunte Garibel.

Dangobar war wie immer vorschnell. Er ließ sich von seinem Pferd zu einem der Fenster tragen und stieg hinauf. Im Rahmen blieb er stehen und blickte in das Innere des Gebäudes. Plötzlich viel er rückwärts in den Sand.

"Das kann nicht sein. So nicht. Bei allen Göttern" stammelte er.
Morgana stieg ab und nahm den Freund in den Arm.
"Was ist los? Was hast du gesehen?" fragte sie.
Doch Dangobar war zu keiner Antwort fähig. Das Entsetzen war ihm ins Gesicht gebrannt.

Chron zog sein Zweihänder und ging auf das grünlich schimmernde Gebäude zu.

Garibel folge ihm dicht auf und sicherte den Freund. Seine Hände schimmerten gefährlich rot - tödlich rot.
Wenn sie jetzt angegriffen werden - würde der Magier todbringende Flammengeschosse schleudern.

Der Barbar erklomm das ehemalige Fenster und erschauerte bei dem Anblick, dem ihm der Raum bot: An der gegenüber liegenden Wand hing der Elf - oder vielmehr das, was von ihm übrig geblieben war. Die Überreste trugen das Gewand des Scouts, das sah Chron sofort, aber wollte es nicht wahrhaben.
Mit einem Schrei auf den Lippen sprang er in den Sand und lief zu Liron.

Garibel sicherte seinen Freund immer noch von außerhalb des Raumes. Das war auch gut so, denn wie zu erwarten war, begann der Sand um den Barbaren zu wogen und wabern. Wieder quälten sich die Skelette und ehemaligen Opfer des Gebäudes aus dem Boden.

Chron wirbelte herum und schlug um sich. Wo das Schwert auf die Knochen traf zerfielen diese zu Staub.
Jedem "getöteten" Skelett entwich unter Geschrei eine Seele, so als ob diese sich freut endlich von den Qualen erlöst worden zu sein.

Die Kameraden schlossen sich dem Barbaren an, und schon bald war der ganze Raum mit dem Geschrei der Seelen erfüllt.
Es war ein ungleicher Kampf, denn den Geschossen des Magiers konnten die Skelette nichts entgegen stellen. Mit jedem Schuss vergingen drei von Ihnen.

Nicht lange und es war alles vorbei.

Kein Skelett war mehr vorhanden - nur ihren Freund hatten sie verschont. Alle blickten auf Liron, der immer noch aus leeren Augenhöhlen auf sie hinab blickte.

Chron rammte sein Schwert in den Boden und kniete vor dem Elfen.
"Warum? Bei allen Göttern! Warum?" rief er. Sein Blick ging gen Himmel, doch kein göttliches Zeichen war die Antwort sondern eine gebrochene, abgehackte Stimme aus der Richtung des anderen Fensters.

"Das nützt dir nichts, mächtiger Chron, Sieger zahlloser Schlachten, Befreier von Chrochmolog und Bezwinger von Wirangoch, dem schwarzen Drachen."

Unsere Freunde fuhren herum. Verdammt, dachte Dangobar, wie konnten wir nur unsere Sicherheit vergessen?

Nun waren sie überrumpelt worden. Auf dem Fenster stand ein alter Priester und lächelte sie an.

Auf einen Stock gestützt sah er nicht gerade gefährlich aus.
"Es ist wirklich sehr schön euch zu sehen, edler Chron." sagte er. "Lange habe ich auf diesen Tag gewartet. Nur ihr könnt dem Ort den Frieden geben, den er so lange ersehnt."

Chron ging auf den Mann zu.
"Die sprichst in Rätseln, alter Mann. Wie kann ich diesen Ort befreien? Ich bin nur ein Krieger."
Der Priester stieg auf den Boden des Raumes hinab und schlurfte dem Barbaren entgegen.

Misstrauisch wurde er dabei von Garibel beobachtet, dessen Hände nun jedoch gelb schimmerten, nicht mehr tödlich rot.
Morgana blickte zu ihm hin. Gelb, also, dachte sie. Garibel will ihn nicht töten, sondern nur betäuben, falls es notwendig sein sollte.

Auch der Priester hatte die Veränderung bemerkt und überging sie jedoch. Ob wissentlich oder nicht konnte Morgana nicht entscheiden.

"Einst war dieser Ort ein Tempel Zoas, der Göttin des Lebens. Doch dann kamen schwarze Männer, wie Euer Gefährte da, und brachten den Tod." flüsterte der Priester. Seine Hand deutete noch immer auf Barnabas. "Aus dem Tempel, der einst Leben spendete und Heilung, ist ein Ort des Todes geworden. Ich bin der letzte der Priester und Bewacher der heiligen Zoa."
Barnabas lief auf den Mann zu und viel vor ihm auf die Knie. "Ich nichts Böses." rief er. Die Augen des Schwarzen quollen angsterfüllt aus den Höhlen.

Arnon trat neben den Einarmigen und legte seine Hand auf dessen Schulter. "Beruhige dich mein Freund. Wenn sie das gewollt hätte, wärst du jetzt nicht mehr hier, sondern dort oben, neben Liron."

Barnabas war noch nicht beruhigt und seine Augen wanderten unstet zwischen dem Priester, Liron und dem Zwerg hin und her.

Ich muss nun einwerfen, dass Barnabas nie eine Schule besucht hatte und als Sklave kaum Bildung erlangte. Sprechen war unter Strafe verboten. Daher schwieg er meistens - und auch nach seiner Befreiung durch Chron. Wenn er etwas zu sagen hatte, kamen nur die abgehackten Sätze dabei heraus. Ohne mich jetzt loben zu wollen, aber etwas habe ich auch dazu beigetragen. Bei den zahlreichen Besuchen in meinem Heim haben wir uns immer mit der Sprache beschäftigt. Ich habe Barnabas auch das Lesen beigebracht. Na ja, ganze Schriftrollen kann er nicht verstehen, aber so einige Sätze oder Schilder stellen für ihn kein Problem mehr da. So nun zurück zu unserer Geschichte.

"Dich trifft keine Schuld, mein Sohn." sagte er. "Das geschah vor 40 Jahren. Seit dem ist der Ort verflucht. Jeder der von dem Licht angelockt wird, muss sterben und seinen Platz im Sand einnehmen. Doch ihr habt den armen Seelen ihren Frieden gegeben."

Plötzlich verdunkelte sich der Himmel, die Pferde wieherten und zogen an ihren Zügel. Der Wind heulte. Blitze zuckten und Donner durchdrang die Luft und ließ die Grundmauern erzittern. Aus den Wolken formte sich ein Gesicht - grausam und böse.

Eine Stimme, so tief wie das weite Meer, erscholl: "Niemand darf mir meine Seelen rauben! Kein Sterblicher hat es jemals gewagt, mich, Agimar, so herauszufordern."

Der Priester zitterte am ganzen Leib und auch unseren Freunden war nicht ganz geheuer.

"Ich werde dir folgen, Chron, und werde dich bald vernichten!"
Die Stimme verklang und das Unwetter zog ab.

Das war die erste Begegnung mit Agimar, dem Mächtigsten aller Zauberer, die je unser Land beherbergt hat.
"Agimar, schon bei dem Gedanken an ihn läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter." flüsterte der Priester. " Einst war er ein Zauberer des Guten. Er lebte glücklich in Burgasen, unserer Hauptstadt, und studierte viel und eifrig. In seiner spärlichen Freizeit zog es ihn immer wieder zu den Elendsvierteln der Stadt, um dort die Not zu lindern. Seine Heilsprüche waren berühmt und wurden von ihm immer weiter verbessert."

Bei diesen Worten nickte Garibel. "Das stimmt. Agimar ist eine Legende unter uns."

Der Priester fuhr fort: "Nun, eines Tages trafen ihn viele Schicksalsschläge, die den armen Mann innerlich zerstörten. Seine Frau starb, kurz darauf sein Sohn. Eines seiner Experimente schlug fehl und die Versuchsperson, die sich freiwillig meldete, starb unter Qualen. Von da an verging der Stern des Agimar.

Er wurde aus der Gilde der Zauberer hinausgeworfen und aus der Stadt gejagt.

Keiner - nicht einmal die Armen, denen er immer so sehr geholfen hatte - hielt zu ihm und sein Herz zerbrach. Es wurde schwarz. Von dem Zeitpunkt an hasste er alle Menschen."

Chron unterbrach den Alten. "Du brauchst nicht weiter zu erzählen, Priester. Die grausamen Taten seiner Herrschaft kennen wir alle. Aber bis jetzt habe ich eigentlich geglaubt, dass er nur eine Legende ist. Dass der Zauberer noch leben soll. Unwahrscheinlich."

Garibel ging auf den Barbaren zu. "Nein, nicht unmöglich. Er muss einen Bund eingegangen sein, denn kein Sterblicher unter der Sonne könnte neben den Zwergen über 200 Jahre alt werden."

Der Priester nickte.

"Zweihundert Jahre, „ flüsterte Chron und schüttelte den Kopf. Seine Faust umschloss den Griff des Schwertes so fest, dass die Knöchel hervortraten.

Morgana unterbrach das Gespräch der Männer.
"Wenn du der Diener Zoas bist, kannst du deiner Göttin nicht um Beistand bitten und Liron wieder Leben schenken?"
Tränen traten ihn die Augen der Kämpferin. Tränen, der Trauer um einen Freund.
"Ich weiß nicht, ob ich den Zauber von Agimar brechen kann. Er ist mit dem Bösen im Bunde, und das Böse ist im Augenblick sehr mächtig in Largo. Ich kann nicht."
Morgana zog das Schwert. "Warum nicht? Ist das Leben eines Elfen nichts wert? Ist deine Göttin so grausam, dass sie nur ihren Kindern das Leben schenkt, keinen Fremden?"
"ICH KANN NICHT!" schrie der Priester.

Garibel hatte sich in aller Ruhe auf den Boden zu den Füßen des Elfen gesetzt. Sein Bass durchdrang plötzlich die Stille. "Darg na jeck. Nock narga, nor gier." rief er aus. Uralte Rituale und Worte formten sich zu dem mächtigsten Zauber, den unsere Welt je gesehen hat - Der Zauber der Transformierung.
Totes wird wieder lebendig.
Dunkelblaue Strahlen schossen aus den Händen des Zauberers und hüllten die Überreste des Scouts ein.
Mit weiten Augen sahen die Gefährten auf das Schauspiel. Muskeln, Sehnen, Knorpel begannen sich um die bleichen Knochen über ihnen zu formen, sie zu umschließen. Die Organe setzten sich zusammen und das Herz begann wieder zu schlagen. Doch dann kamen die Vorgänge ins Stocken. Garibel begann am ganzen Körper zu zittern, Schweiß trat aus seinen Poren und benetzte den Sand. Der alte Zauberer verausgabte sich gänzlich.

Der Streit mit dem Priester war vergessen. Sorgenvoll blickte die kleine Gruppe nun auf Garibel.

Da trat der Priester an die Seite des Zauberers und rief Zoa an. Aus dem Körper des Mannes schoss weißes Licht in Richtung des Elfen und vereinte sich dort mit dem Blauen des Zaubers. Man konnte den Priester in dem Licht nicht mehr erkennen, doch jetzt ging die Verwandlung des Körpers schneller vonstatten und schon bald war Liron regeneriert.

Alle waren glücklich und freuten sich, als sie den Scout in die Arme schließen konnten. Besonders Barnabas konnte die Tränen nicht unterdrücken.

Doch als sich unsere Freunde bei dem Priester bedanken wollten, war an der Stelle, wo er einst gestanden hatte, nur noch seine Robe übrig.

"Das war es also," sagte Garibel. "Er hat sich für Liron aufgelöst. Er ist für seine Göttin gestorben."

Chron legte seine Hand auf die Schulter des Zauberers.

So endet meine Geschichte.